Der deutsche Immobilienmarkt – 2. Quartal 2022

Oliver Alexander Obert
Managing Partner

Reflections
27 Jul 2022

Ein Markt zwischen Abwarten und Neubewertung

Der deutsche Immobilieninvestment Markt hat mit rund 36 Mrd. EUR Transaktionsvolumen im ersten Halbjahr 2022 ein Ergebnis auf dem Niveau von 2021 erzielt. Doch das Ergebnis täuscht auf den ersten Blick, denn das zweite Quartal war mit ca. 12 Mrd. EUR Gesamtvolumen eines der schwächsten Quartale seit langem. Der Ukraine Krieg und die damit verbundene Unsicherheit haben Spuren im deutschen Immobilienmarkt hinterlassen. Eine geopolitisch stark veränderte Gesamtlage, ein hoch volatiles Zinsumfeld, die anhaltend hohe Inflation und aufgekommene Rezessionsängste werfen die Frage nach einer angemessenen Bewertung von Immobilien auf.

„The year 2022 ranks as the worst start in 50 years for both stocks and bonds"Larry Fink, founder and CEO, Blackrock

Manchmal genügt ein kleiner Blick über den Tellerrand, um ein Gefühl für das Marktumfeld zu gewinnen. Anlässlich verschiedener Statements der großen internationalen Finanzinstitute in den letzten Wochen zur weltweiten Lage bekommt man wenig Zuversicht in die nahe Zukunft. Blackrock erklärt „The Great Moderation, eine Periode des konstanten Wachstums und der stabilen Inflation“ für beendet, Barclays sieht gar eine „neue Ära der Instabilität“ und die Financial Times fasst die Stimmung in der Überschrift zusammen „Die Ära der großen Verzweiflung ist bei den Investoren angekommen“.

Vor diesem Hintergrund wirken derzeit im deutschen Immobilienmarkt häufig vernommene Durchhalteparolen – „ab Herbst wird wieder investiert“ mit dem Verweis auf die große Kapitalverfügbarkeit im Markt – wie ein verzweifelter Versuch, die anhaltende Fragilität mit einer Prognose zu beenden. So einfach und schnell wird diese Phase der Unsicherheit vermutlich nicht beendet sein. Dies zeigt die seit Monaten vorherrschende Abwärtsbewegung bei hoher Volatilität an den Kapitalmärkten nur zu deutlich. Hoch effiziente Kapitalmärkte zeigen Veränderungen in den Erwartungen der Investoren schneller als der Immobilienmarkt, in dem Transaktionen viel mehr Zeit in Anspruch nehmen und die gehandelten Güter wenig homogen sind.

Zusammenfassend befinden wir uns auch im deutschen Immobilienmarkt in der Mitte eines vermutlich schmerzhaften Prozesses der Neu-Kalibrierung. Dabei verändern sich neben Renditeerwartungen von Investoren auch die generelle Risiko-Bereitschaft von Investoren und Finanzierern.

So gilt die bei Krisen in der Vergangenheit immer wieder zu Recht beschworene „Deutschland = Safe Haven“ Gleichung nicht mehr. Deutlich zeigt sich derzeit eine Zurückhaltung von internationalen Vermögensverwaltern gegenüber Kontinentaleuropa, die unter vielerlei Hinsicht begründet erscheint.

  • Der Krieg an den Grenzen der europäischen Union
  • Die drohende Schwächung der Wirtschaft aufgrund der Nicht-Verfügbarkeit von Gütern, insbesondere Rohstoffen
  • Der Verfall des Euro und der damit einhergehenden, dramatischen Kaufkraftverlust (knapp 20 % binnen des letzten Jahres!) bei allen in US-Dollar abgerechneten Gütern. Insbesondere Deutschland leidet unter der EZB, die mit Rücksicht auf Südeuropäische Länder und im Vergleich zu anderen Währungsräumen viel zu zögerlich Zinserhöhungen vornimmt. Das Argument, mit einem niedrigen Euro-Kurs Exporte zu erleichtern und damit Beschäftigung zu fördern ist hinfällig in einer Phase der Vollbeschäftigung und der Nicht-Verfügbarkeit von Gütern.

Auf dem Immobilienmarkt wird die Verteuerung bei der Finanzierung als das Hauptargument für ein verändertes Preisniveau genannt. Zunächst fällt die hohe Volatilität anerkannter Basis-Zinssätze ins Auge. Der 10-Jahres Euro Swap beispielsweise schnellte in der Spitze seit dem Jahresanfang um rund 250 Basispunkte in die Höhe. Mittlerweile notiert er rund 100 Basispunkte niedriger – eine historisch äußerst ungewöhnliche Dynamik. Aufgrund des Timings von Immobilien-Transaktionen ist noch nicht auszumachen, welche neue Renditewelt wir in den unterschiedlichen Assetklassen sehen werden. Fest steht, dass - zum Beispiel in der Assetklasse Büroimmobilie - Renditeniveaus von unter 3 % brutto erst einmal passé sein werden. Investoren bieten sich aktuell schlichtweg wieder rentierliche Investitionen außerhalb des Immobilienmarkts. Hier sind insbesondere Anleihen zu nennen, die traditionell ein hohes Gewicht im Portfolio von institutionellen Investoren ausmachen.

Ein schnelles Zurück zu den Bewertungsniveaus des vergangenen Jahres sehen wir aufgrund der deutlich erhöhten Basis-Zinssätze nicht – auch nach dem Rückgang der Basis-Zinssätze in den letzten Wochen. Neben dem aktuellen Niveau Basis-Zinssätzen spricht für diesen getrübten Ausblick auf das zweite Halbjahr 2022 die Verfügbarkeit von Fremdkapital und die von Finanzierern angesetzten Risiko- und Liquiditäts-Margen. Wir beobachten seit Jahresbeginn eine gestiegene Risikoaversion von Banken, das heißt eine gestiegene Zurückhaltung bei der Finanzierung im Non-Core Bereich. Trotz dieser Zurückhaltung sind die von Banken aufgerufenen Zinsniveaus nach wie vor attraktiv – im Vergleich zu den Renditen von Immobilien-Anleihen, die in einem Maße gestiegen sind, das sich nicht mit den Basis-Zinssätzen erklären lässt. Wir sehen für den Markt aktuell die Gefahr, dass auch Banken Risiko- und Liquiditäts-Margen ausweiten und die Finanzierungskosten so weiter verteuern.

Value-add Objekte und spekulative Projekte sind aktuell über Banken kaum noch finanzierbar. Insofern setzt sich der Trend der letzten Jahre hin zu alternativen Finanzierern fort. In Anbetracht der eingangs beschriebenen Unsicherheiten im Markt und der Zurückhaltung von Banken, erleben die lieferfähigen Debt-Fonds eine erhebliche Nachfrage, die es ihnen ermöglicht, aktuell deutliche gestiegene Zinsen durchzusetzen. Aber auch hier gibt es Grenzen, bei denen Angebot und Nachfrage nicht zusammenkommen werden. Daher wird sich zeigen, ob die Debt-Fonds die Zurückhaltung der Banken nutzen können.

Über alle Asset Klassen sehen wir mittelfristig ein Zurückgehen der Development Aktivitäten, da die schwankenden Rohstoffpreise in Kombination mit den nicht kalkulierbaren Lieferengpässen, der Bewertungsunsicherheit und der Finanzierungsproblematik eine zu hohe Hürde darstellen.

Angesichts dieser Gesamt-Gemengelage erwarten wir nach dem deutlichen schwächeren 2. Quartal auch ein von Zurückhaltung geprägtes 3. Quartal und ein Transaktionsvolumen auf Jahressicht von rund 65 Milliarden.

Oliver Obert & Joachim von Rheinbaben, Geschäftsführung Oceans & Company